360 Grad in 5D
Quelle: eventpartner 2.2011
Rekordverdächtig präsentierte sich in diesem Jahr die Sportartikelmesse ispo: 2.267 Aussteller (+10 Prozent) aus 49 Ländern belegten vom 6. bis zum 9. Februar die Hallen der Neuen Messe München. Die Ausstellungsfläche wuchs auf 185.000 m2 (+13 Prozent), und mit über 80.000 Fachbesuchern aus 106 Ländern verbuchte die 71. ispo gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs von mehr als 25 Prozent.
Aus den vielfach kleinteilig belegten und zum Teil wuselig wirkenden Messehallen der "Internationalen Fachmesse für Sportartikel und Sportmode" stach Halle B1 ("ispovision") mit ihrem gediegenen Charakter heraus: Großzügige und sehr ansprechend gestaltete Messestände erfreuten das Auge des Betrachters, klassische Musik sorgte bei dezentem Pegel für eine angenehme akustische Atmosphäre, und dank einer Verdunkelung der Fensterflächen kamen die Beleuchtungskonzepte der einzelnen Stände selbst bei strahlendem Wintersonnenschein zum Tragen.
Alpenpanorama
Strategisch günstig nahe am Messeeingang West hatte (Sport-) Bekleidungs-hersteller Bogner seinen Stand in Halle B1 errichtet. Auf einer Grundfläche von 204 m2 ließen sich Fachbesucher hier über ausgewählte Highlights der aktuellen Winterkollektion informieren - das komplette Sortiment konnten Interessenten in einem Showroom am per Shuttleservice erreichbaren Firmensitz in der nahe gelegene St.-Veit-Straße begutachten.
Rund 65 Prozent der ispo-Standfläche nahm bei Bogner ein sich Richtung Hallendecke streckender Zylinder in Anspruch, der sich bei genauerem Hinschauen als 360-Grad-Kino entpuppte: Acht Mal pro Tag wurde hier ein 32 minütiger Film gezeigt, den Wilhelm Hermann Björn ("Willy") Bogner junior, bekannter Ex-Skisportler und Inhaber der Willy Bogner GmbH & Co. KGaA, in eigener Regie erstellt hatte. Bogners filmisches Schaffen ist u. a. durch die spektakulären Ski- Actionszenen diverser James-Bond-Filme bekannt, und Mitte der 80er-Jahre konnte der umtriebige Geschäftsmann mit dem abendfüllenden Ski-Film "Feuer und Eis" einen Erfolg in der deutschen Kinolandschaft landen.
Für den diesjährigen ispo-Auftritt seines Unternehmens hatte sich Willy Bogner etwas Besonderes ausgedacht: 3D als Trendthema sollte es sein, ergänzt um eine 360-Grad-Wiedergabe - bei Bogners Vorliebe für breite Bergpanoramen und dem seit jeher geäußerten Wunsch nach einem Eintauchen des Zuschauers in die alpine Welt, erscheint das Rundum- Format geradezu als logische Konsequenz von Bogners Filmschaffen.
Einen letzten Anstoß zur Umsetzung der kühnen Idee mag eine preisgünstige kleine Videokamera gegeben haben: Das GoPro-Modell HD HERO ist in Sportlerkreisen aufgrund seiner Robustheit und seiner kompakten Abmessungen sehr beliebt, um actionreiche Szenen aus subjektiver Perspektive aufzuzeichnen. Für sein extravagantes Vorhaben ließ Willy Bogner einen Spezialhelm anfertigen, um den herum zehn Kameras an fünf Positionen befestigt wurden - jeweils ein Kameratandem (siehe Foto) für linkes und rechtes Auge. Ein gleich aufgebautes Konstrukt wurde auf einer Stativplatte befestigt und kam während der Dreharbeiten als statisch positionierte Rundum- Kamera parallel zum mobil verwendbaren Spezialhelm zum Einsatz. Aus den fünf Kamerapositionen, die gemeinsam ein 360-Grad-Panorama ergeben, erklärt sich vermutlich der von Willy Bogner werbewirksam für den ispo-Auftritt gewählte Begriff "5D".
Für sein Projekt mit Namen "B in 5D" konnte Bogner auf bestehende Kontakte in die Sportwelt zurückgreifen: Bekannte Skisportler und Snowboard-Artisten wurden als Darsteller engagiert, und die Schweizer Freestyle-Ikone Reto Lamm konnte für die Produzentenrolle gewonnen werden. Als Sponsoring-Partner treten im Film u. a. Automobilhersteller Audi und die Gemeinde St. Moritz in Erscheinung. Die komplexe technische Umsetzung wurde in weiten Teilen durch die Münchner Niederlassung von Neumann& Müller Veranstaltungstechnik betreut; Technik für den Messestand lieferte außerdem die BELA GmbH aus Unterföhring.
LED-Klappe
Auf Seite von Neumann&Müller war Pasquale Zuppa (N&M-Studio München) maßgeblich in das 5D-Projekt involviert: Schon während der Dreharbeiten in Sankt Moritz assistierte der Multimediaspezialist vor Ort und konnte wertvolle Anregungen geben, um bereits im Aufnahmeprozess eine optimale Ausgangsbasis für die spätere Postproduction zu schaffen.
An den ersten beiden Drehtagen stand Zuppa mit auf der Piste; im weiteren Verlauf nahm er abends im Hotel das tagsüber gefilmte Material in Empfang, um es über Nacht in den Rechner zu transferieren und auf mögliche Probleme zu überprüfen - immerhin wurde mit der 5D-Produktion technisches Neuland betreten, und falls ein bestimmter Shot für die gewünschte Darstellungsform nicht funktioniert hätte, wäre die Einstellung am darauf folgenden Tag möglicherweise noch einmal zu wiederholen gewesen. Der optischen Kontrolle diente im Hotelzimmer ein 3D-fähiger Projektor, der das Rundum-Panoramabild herunterskaliert auf einer planen Ebene in Form eines schmalen Streifens wiedergab.
Eine besondere Herausforderung stellten die immensen Datenmengen dar: 5 x 2 GoPro-Kameras am Helm, 5 x 2 GoPro-Kameras auf einer Stativplatte sowie die Signale weiterer beteiligter Kameras verlangten neben leistungsstarken Rechnern und großzügig dimensionierten Festplatten auch nach einer penibel und konsequent durchzuführenden Verschlagwortung. Sowohl für die Helmkameras als auch für ihre auf der Stativplatte montierten Konterparts mussten im Editor jeweils zehn Spuren eingerichtet werden. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, wie die einzelnen Signale überhaupt synchron anzulegen seien - die im Regelfall bei Filmen verwendete Klappe funktioniert bei einem 360-Grad-Panorama aus leicht nachvollziehbaren Gründen nicht. Die Lösung lieferte ein als Sonderentwicklung in Auftrag gegebener Metallring, der mit einem LED-Band versehen war: Der Ring wurde zu Beginn jeder neuen Einstellung um die Kameraphalanx gehalten und dann eingeschaltet - das Aufleuchten der Dioden diente Zuppa beim Zusammensetzen des Materials in Adobe After Effects CS5 als Framegenauer Synchronmarker.
Beim Editing war ein hohes Maß an Abstraktionsfähigkeit gefordert, da "vorne" und "hinten" gleichzeitig im lang gestreckten Panoramabild zu sehen waren - den finalen Schnitt übernahm Willy Bogner an einer herunterskalierten 16:9 Fassung des Materials mithilfe von Apple Final Cut Pro. Gemäß Bogners Vorgabe wurde das großformatige 5D-Ouevre von Pasquale Zuppa und seinem Kollegen Klaus Ostermayer im Anschluss mit dem originalen Material nachgeschnitten.
Schnee-Logos in 3D
Die Dreharbeiten im Engadin erfolgten Mitte Januar 2011, sodass für den gesam ten Postproduction-Prozess lediglich zwei Wochen zur Verfügung standen - zur ispo musste der Film fertig sein, was in Kombination mit den ungewohnten Arbeits- abläufen den allgemeinen Druck deutlich erhöhte. Als Ergänzung zum angelieferten Filmmaterial wurden vom N&M-Team mehrere 3D-Animationen im Rundum-Format gerendert - ein beeindruckendes Beispiel während des Films waren wirbelnde Schneeflocken aus weißen Bogner-Logos, die quasi greifbar auf die Zuschauer hinabrieselten. Um in jeder Betrachtungsrichtung einen wirkungsvollen 3D-Effekt zu erzielen, mussten während der Animationsphase über die gesamte Breite fünf virtuelle Stereokameras gerechnet werden.
Zur Wiedergabe am Messestand waren 7 x 2 Projektoren in Tandemanordnung erforderlich. Im Strahlengang jedes Tandems befanden sich Interferenzfilter, um die Bildinformation für das linke und das rechte Auge separat mit Grundfarben unterschiedlicher Wellenlängen darstellen zu können - von Messehostessen ausgegebene Infitec-Brillen sorgten dafür, dass sich der gewünschte 3D-Effekt bei den Zuschauern einstellte. Der Ton wurde während der Vorführung über vier verteilte Lautsprecherpositionen wiedergegeben, wobei die Ausgabe je nach Bildinhalt in Stereo oder in einem Quadro- Format erfolgte; zwei Subwoofer steuerten an dramaturgisch geeigneten Stellen tieffrequente Audioinformationen bei. Für jeden Projektor stand in München ein eigener 19"-Rechner als Zuspieler bereit; als Steuersoftware diente Watchout von Dataton. Für einen homogenen Bildeindruck mussten die Projektoren wie in derlei Zusammenhängen üblich exakt eingerichtet werden, um nahtlose Übergänge ("Softedge-Blending") zwischen den Bildern der einzelnen Geräte zu ermöglichen. Als Herausforderung stellte sich während der ispo der enge Radius der umlaufenden Projektionsfläche heraus, wobei Letztere zu allem Überfluss auch noch eine leichte Wölbung aufwies - ein N&M-Mitarbeiter war über drei Tage hinweg damit beschäftigt, das komplexe Zusammenspiel sämtlicher technischer Faktoren im Sinne eines bestmöglichen Bildergebnisses zu optimieren. Schwierigkeiten bereiteten auch Temperaturschwankungen, die Auswirkungen auf die Spannung der Leinwand hatten.
Für das Bogner-Projekt kam das so genannte Infitec Wellenlängen-Multiplexverfahren zum Einsatz. Andere 3D-Verfahren hätten in einer normalen Kinosituation möglicherweise noch beeindruckendere Bilder geliefert - das für eine 360-Grad-Projektion zwingend erforderliche Softedge-Blending wäre mit konkurrierenden 3D-Ansätzen jedoch nicht realisierbar gewesen, und der Einsatz teurer Shutter-Brillen hätte sich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in einem Messe-Kontext ohnehin verboten. Um Überraschungen auf der Messe zu vorzubeugen, wurde vor Beginn der ispo in den Räumlichkeiten von Neumann& Müller ein Probeaufbau im 180-Grad- Format eingerichtet.
Testfahrt
Zugang zur "Testfahrt in eine neue Dimension" (Ankündigungstext am Messestand) erhielten pro Vorführung maximal 50 Personen. Mit einer Dauer von 32 Minuten besaß der Film eine für Messeverhältnisse außergewöhnlich lange Spielzeit - nicht alle Besucher mochten aufgrund ihrer straff belegten Terminkalender bis zum Ende der Vorführung ausharren.
Im Film wurde zunächst ein Blick in Willy Bogners Historie als Filmer geworfen, wobei der Unternehmer seinen cineastischen Werdegang auch als Kommentator erläuterte. Der Übergang zum 3D-Part gestaltete sich spektakulär - die Leinwand "riss auf", und das Bild dehnte sich rund um die Zuschauer, die sofort damit begannen, sich im Raum zu drehen und das Panorama auf sich wirken zu lassen. Die erste Sequenz zeigte Models in Bogner-Outfits, die auf einem schneebedeckten Berggipfel Yoga-ähnliche Bewegungsabläufe ausführten und zu einem späteren Zeitpunkt als dramatisch aus tiefer Perspektive inszenierte "Lady-Gang in Kauflaune" einen Bogner-Shop aufsuchten.
Rasant gestalteten sich die unterschiedlichen Wintersportszenarien, bei denen das aus subjektiver Sicht gefilmte "Mitfahren" den Gleichgewichtssinn der Zuschauer durch den 3D-Effekt zusätzlich beanspruchte - unwillkürlich gelangten die Anwesenden in Versuchung, sich mit in die Kurven zu legen oder Hindernissen auszuweichen. Besonders effektvoll wirkten Sprünge, bei denen die Protagonisten über die unsichtbare GoPro-Kameraphalanx hinweg flogen - der Sprung startete vor den Betrachtern, welche die Landung auf der Piste miterleben konnten, sofern sie sich schnell genug umdrehten. Eine gewisse Unruhe stellte sich bei dem ungewohnten Betrachtungserlebnis mitunter ein; weniger sensationsfreudige Gemüter werden als großformatiges Filmvergnügen wohl weiterhin einen bequemen Kinosessel und eine konventionelle Art der Darstellung bevorzugen.
Lässt man sich bei allem Respekt für die Experimentierfreude und den Wagemut der Projektverantwortlichen zu einer nüchternen Betrachtung hinreißen, stellt sich der Film als Aneinanderreihung schöner bis spektakulärer Bilder dar - ein Plot fehlt, ein irgendwie gearteter Zusammenhang ist nicht auszumachen. Das mit professionellen Panasonic-Kameras in Full HD gedrehte Material zeigt, was mit dem Verfahren prinzipiell möglich ist - die kompakten GoPro-Modelle mit ihren kleinen CMOS-Sensoren und der für das Projekt genutzten Auflösung von 1.280 x 720 Pixel (720p) reichen im direkten Vergleich in puncto Bildqualität nicht an die um Faktoren kostspieligeren Broadcast-Cams heran. Klar festzuhalten ist dabei, dass sich die besonders spektakulären Action-Szenen nur unter Einsatz der kompakten Videokameras drehen ließen - in naher Zukunft wird hier dank weiterentwickelter Technik vermutlich ein anderes Bildniveau möglich sein. Auf der ispo kamen nach Angaben der Messe 67 Prozent der Besucher und 84 Prozent der Aussteller aus dem Ausland - insofern überraschte es, dass der Ton zum 5D-Erlebnis ausschließlich in deutscher Sprache zu vernehmen war und Bogners gesprochene Kommentare ohne Untertitelung auskamen. Auch der auf die Leinwand projizierte deutschsprachige Hinweis, dass die 3D-Brillen zu Beginn der Vorführung noch nicht aufzusetzen seien, wurde von vielen Anwesenden nicht verstanden - bei zwei vom Autor besuchten Vorführungen zumindest hatte die Mehrheit der Gäste die Infitec- Brillen viel zu früh aufgesetzt und suchte dementsprechend vergeblich nach einem Aha-Erlebnis.
Weltpremiere
Angesichts fehlender Erfahrungswerte mit der neuartigen Darstellungsform gilt es dem gesamten Team für die gelungene Umsetzung von "B in 5D" uneingeschränkt Respekt zu zollen - insbesondere angesichts des außergewöhnlich kurzen Zeitraums zwischen Produktion und Erstaufführung. Nach Kenntnisstand des Autors handelte es sich bei der temporär aufgebauten "Steroskopisches-3Din- 360-Grad-Konstellation" in München um eine Weltpremiere. Versprochen wurde eine "Testfahrt", und Letztere führte - um sprachlich im Bild zu bleiben - mit Vollgas über die nicht ganz einfach zu bewältigende Piste einer Terra incognita zu einem neuen Horizont. Die Resonanz auf das bemerkenswerte Ergebnis gestaltete sich während der ispo positiv, und der Zutritt zur "B in 5D" war heiß begehrt. Am Ende des ersten Messetages zeigte sich Willy Bogner in einem kurzen Gespräch rundum zufrieden - man darf gespannt sein, mit welcher Innovation der leidenschaftliche Filmer die ispo-Besucher im kommenden Jahr begeistern wird.
Text und Fotos: Jörg Küster
Peter Mathis (Reto Lamm mit LED-Ring)