Bogner in 5D
Quelle: Professional System 2/2011
Für den Auftritt auf der "Internationalen Fachmesse für Sportartikel und Sportmode" (ispo) in der Neuen Messe München hatte sich Modefabrikant Willy Bogner in diesem Jahr etwas Besonderes einfallen lassen: Vom 6. bis zum 9. Februar konnten Fachbesucher am Messestand ein 3D-Kino besuchen, das real gefilmtes 3DMaterial mit im Rechner erzeugten 3D-Animationen verquickte und die Zuschauer als Besonderheit im 360-Grad-Format umrundete.
5 x 2 = 5D
Wilhelm Hermann Björn ("Willy") Bogner junior, bekannter Ex-Skisportler und Inhaber der Willy Bogner GmbH & Co. KGaA (www.bogner. com), ist nicht nur Bekleidungshersteller, sondern auch ein passionierter Filmer. Bogners von jeher geäußerter Wunsch ist es, dass die Betrachter seiner Filme in die alpine Bergwelt eintauchen können - ein 360-Grad-Erlebnis bot sich somit an, und 3D als Trendthema lag im Sinne eines öffentlichkeitswirksamen ispo-Auftritts ebenfalls auf der Hand. Einen letzten Anstoß zur Umsetzung der Idee mag eine preisgünstige kleine Videokamera geliefert haben: Das GoPro-Modell HD HERO ist in Sportlerkreisen aufgrund seiner Robustheit und seiner kompakten Abmessungen sehr beliebt, um actionreiche Szenen aus sub jektiver Perspektive aufzuzeichnen.
Für sein extravagantes Vorhaben ließ Willy Bogner einen Spezialhelm anfertigen, um den herum zehn der 300-Dollar-Kameras an fünf Positionen befestigt wurden - jeweils ein Kameratandem für linkes und rechts Auge. Ein gleich aufgebautes Konstrukt wurde auf einer Stativplatte befestigt und kam während der Dreharbeiten als statisch positionierte Rundum-Kamera parallel zum mobil verwendbaren Spezialhelm zum Einsatz. Fünf Kamerapositionen ergeben mit ihren Fixed-Focus-Linsen gemeinsam ein 360-Grad-Panorama und waren möglicherweise Namensgeber der Produktion "B in 5D" .
Content-Produktion
Die komplexe technische Umsetzung wurde jenseits des eigentlichen Filmens durch die Münchner Niederlassung von Neumann&Müller Veranstaltungstechnik (www.neumannmueller.com) betreut. Federführend war Pasquale Zuppa (N&M-Studio München) in das 5D-Projekt involviert: Schon während der Dreharbeiten in Sankt Moritz assistierte der Multimediaspezialist vor Ort und konnte wertvolle Anregungen geben, um bereits im Aufnahmeprozess eine optimale Ausgangsbasis für die spätere Postproduction zu schaffen.
An den ersten beiden Drehtagen stand Zuppa mit auf der Piste; abends nahm er im Hotel das tagsüber gefilmte Material in Empfang, um es über Nacht in den Rechner zu transferieren und auf mögliche Probleme zu überprüfen. Immerhin wurde mit der 5D-Produktion technisches Neuland betreten. Falls ein bestimmter Shot für die gewünschte Darstellungsform nicht funktioniert hätte, wäre die Einstellung am Folgetag möglicherweise noch einmal zu wiederholen gewesen. Der optischen Kontrolle diente im Hotelzimmer ein 3D-fähiger Projektor (Acer H5360), der das Rundum-Panoramabild herunterskaliert auf einer planen Ebene in Form eines schmalen Streifens wiedergab.
Eine besondere Herausforderung stellten die immensen Datenmengen dar: 5 x 2 GoPro-Kameras (jeweils 1.280 x 720 Pixel, 720p) am Helm, 5 x 2 GoPro-Kameras auf einer Stativplatte sowie die Signale weiterer beteiligter Kameras (Full HD) verlangten neben leistungsstarken Rechnern und großzügig dimensionierten Fest- Professional System 2.2011 platten auch nach einer penibel und konsequent durchzuführenden Verschlagwortung.
Sowohl für die Helmkameras als auch für ihre auf der Stativplatte montierten Konterparts mussten im Editor Adobe After Effects CS5 jeweils zehn Spuren eingerichtet werden. In diesem Zusammenhang ste llte sich die Frage, wie die einzelnen Signale überhaupt synchron anzulegen seien - die im Regelfall bei Filmen verwendete Klappe funktioniert bei einem 360-Grad-Panorama aus leicht nachvollziehbaren Gründen nicht. Die Lösung lieferte ein als Sonderentwicklung in Auftrag gegebener Metallring, der mit einem LED-Band versehen war: Der Ring wurde zu Beginn jeder neuen Einstellung um die Kameraphalanx gehalten und dann eingeschaltet - das Aufleuchten der Dioden diente Zuppa beim Zusammensetzen des Materials in After Effects als Frame-genauer Synchronmarker.
Beim Editing war ein hohes Maß an Abstraktionsfähigkeit gefordert, da "vorne" und "hinten" gleichzeitig im lang gestreckten Panoramabild zu sehen waren - den finalen Schnitt übernahm Willy Bogner an einer herunterskalierten 16:9-Fassung des Materials mithilfe von Apple Final Cut Pro. Gemäß Bogners Vorgabe wurde das großformatige 5D-Ouevre von Pasquale Zuppa und seinem Kollegen Klaus Ostermayer im Anschluss mit dem originalen Material nachgeschnitten.
Die Dreharbeiten im Engadin erfolgten Mitte Januar 2011, sodass für den gesamten Postproduction- Prozess lediglich zwei Wochen zur Verfügung standen. Als Ergänzung zum angelieferten Filmmaterial wurden vom N&M-Team mehrere 3D-Animationen im Rundum-Format erzeugt - ein beeindruckendes Beispiel während des Films waren wirbelnde Schneeflocken aus weißen Bogner-Logos, welche quasi greifbar auf die Zuschauer hinabrieselten. Um in jeder Betrachtungsrichtung einen wirkungsvollen 3DEffekt zu erzielen, mussten während der Animationsphase in Autodesk 3ds Max 2011 über die gesamte Breite fünf virtuelle Stereokameras gerechnet werden .
Wiedergabe
Zur Wiedergabe am Messestand waren 7 x 2 Projektoren (Panasonic PT-DS 1 OOX) in Tandemanordnung erforderlich. Im Strahlengang jedes Tandems befanden sich Interferenzfilter, um die Bildinformation für das linke und das rechte Auge separat mit Grundfarben unterschiedlicher Wellenlängen darstellen zu können - von Messehostessen ausgegebene 3D-Brillen sorgten dafür, dass sich der gewünschte 3D-Effekt bei den Zuschauern einstellte. Der Ton wurde während der Vorführung über vier verteilte Lautsprecherpositionen (K&F CA 106) wiedergegeben, wobei die Ausgabe je nach Bildinhalt in Stereo oder in einem Quadro-Format erfolgte; zwei Subwoofer (d&b Q-SUB) steuerten an dramaturgisch geeigneten Stellen tieffrequente Audioinformationen bei.
Für jeden der per DVI-Verbindung versorgten Projektoren stand in München ein eigener 19"Rechner als Zuspieler bereit; als Steuersoftware diente Watchout von Dataton. Für einen homogenen Bildeindruck mussten die Projektoren exakt eingerichtet werden. Als Herausforderung stellte sich während der ispo der enge Radius der umlaufenden Projektionsfläche heraus, wobei Letztere zu allem Überfluss auch noch eine leichte Wölbung aufwies: Ein N&M-Mitarbeiter war über drei Tage hinweg damit beschäftigt, das komplexe Zusammenspiel sämtlicher technischer Faktoren im Sinne eines bestmöglichen Bildergebnisses zu optimieren. Schwierigkeiten bereiteten Temperaturschwankungen, die uner wartet merkliche Auswirkungen auf die Spannung der Leinwand zeitigten.
Für das Bogner-Projekt kam das WellenlängenMultiplexverfahren von Infitec zum Einsatz. Mit anderen Verfahren wäre das für eine 360- Grad-Projektion zwingend erforderliche Softedge- Blending nicht in der gewünschten Form reali sierbar gewesen, und der Einsatz teurer Shutter-Brillen hätte sich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in einem Messe-Kontext ohnehin verboten. Um Überraschungen auf der Messe vorzubeugen, wurde vor Beginn der ispo in den Räumlichkeiten von Neumann&Müller ein Probeaufbau im 1 80-Grad-Format eingerichtet.
Testfahrt mit Prototyp
Das großformatige, mit einer Dauer von 32 Minuten für einen Messeeinsatz überraschend lange Filmvergnügen entwickelte sich auf der ispo rasch zum Messegespräch, und der Zutritt zur "Testfahrt in eine neue Dimension" (O-Ton Messestand) war heiß begehrt. Spektakulär gestalteten insbesondere die Sprünge der im Film agierenden Ski-Profis, die "von vorne" auf die Kameraposition zurasten, um einen Moment später " hinter" den Zuschauern zu landen - wer schnell genug den Kopf drehte, konnte sich mit ein wenig Phantasie "live dabei" fühlen. Technisch betrachtet konnte die Bildqualität der kleinen GoPro-Kameras nicht mit den ebenfalls zum Einsatz kommenden professionellen BroadcastCams mithalten - ohne die preiswerten Kompaktkameras wären die spektakulären Aufnahmen jedoch nicht zu bewerkstelligen gewesen. Im Zuge des technischen Fortschritts sind hier in Zukunft weiter verbesserte Bildergebnisse zu erwarten.
Der Aufwand für "B in 5D" erscheint für einen viertägigen Messeeinsatz enorm und ist sicher auch ein wenig Willy Bogners Passion für das bewegte Bild zuzuschreiben. Eine selbst kühle Rechner überzeugende Kosten-Nutzen-Relation dürfte eher in Festin stallationen gegeben sein, die über einen langen Zeitraum hinweg von deutlich mehr Besuchern frequentiert werden. Hier ließe sich dann auch die Wiedergabeumgebung optimieren , was in einem Messekontext nur bedingt möglich ist. Sofort vorstellen kann man sich den Einsatz in einem Themenpark, aber auch Museen oder Showrooms großer Unternehmen könnten das Konzept mit für ihre Zwecke geeigneten Inhalten übernehmen - beeindruckte Gäste wären in jedem Fall garantiert!
Text: Jörg Küster
Fotos: Jörg Küster, Peter Mathis