Japans Klänge dem Meer so nah
Quelle: Kieler Nachrichten; 22. August 2005; Ressort: KULTUR; Seite 9
So spektakulär kam das traditionelle Event auf der Kieler Werft HDW vielleicht noch nie daher: War man beeindruckt von gigantischen Portalkränen, riesigen Toren, im Dock dümpelnden U-Booten und haushohen Decksaufbauten bei der Montage-Halle 11 angelangt, empfing einen ein Dieselmotor in ungeahnter Größe und eine voll funktionsfähige Behelfsarena. In die ausnahmsweise einmal „freie“ Halle 11, deren Pier mit schönem, leider durch Verpflegungsbuden fast verstelltem Blick in die Förde ragt, war das Open-Air-Konzert verlegt worden, um sich vom kapriziösen Wetter unabhängig zu machen.
Dem Meer so nah machte es Sinn, Claude Debussys Tondichtung La mer durch die Reihen rauschen zu lassen. Auch eine derart tadellose Mikrophon-Verstärkung (deren Qualität man einmal dem Classic-Open-Air zur Kieler Woche wünschen würde) und das entsprechende Spiel der NDR Radiophilharmonie Hannover unter ihrem japanischen Chefdirigenten Eiji Oue konnte allerdings nicht verhindern, dass sich das eigentlich extra feine Werk sehr nach deftiger Filmmusik anhörte. Aber das störte in diesem Rahmen kaum, denn auch Keiko Abes eigene Prism Rhapsody für Marimbaphon und Orchester gehört in diese Kiste. Im Kontext eines pseudomodernen orchestralen Mantels mit leicht japanisiertem Kolorit präsentierte sich die auf die Siebzig zugehende Dame als wahre Hexenmeisterin des Marimbaphons. Und auch in der Zugabe – ein eigenes Solo – blieb den Besuchern angesichts der Schlägel-Virtuosität maßloses Staunen im Gesicht.
Nach der Pause ging es dann mit Giacomo Puccinis süßem, manchmal süßlichem Operngift weiter: Beim Stichwort Japan durften Höhepunte aus Madama Butterfly natürlich nicht fehlen. Bevor sich Maestro Oue vielbejubelt in der Zugabe, einer Komposition des Japaners Toyama, gänzlich in einen Klang(er) kämpfer und springlebendigen Samurai-Sprößling seiner Väter zurückverwandelte, mischte er im Orchester gekonnt Italo-Zucker mit fernöstlichem Reisgebäck und setzte dabei drei erstklassige Solisten in Szene. Während der hawaianische Tenor Keith Ikaia-Purdy mit glanzvollen, wenn auch etwas einheitslauten Tönen als Tunichtgut-Ami Pinkerton die Halle flutete und sich die junge Mezzosopranistin Claude Eichenberger als Suzuki bestens einfügte, erreichte die in Stuttgart engagierte, armenische Sopranistin Karine Babajanian eine (noch) höhere Ebene. Ihre Puccini-Stimme spiegelte eindrucksvoll die Stimmungslagen der Geisha Butterfly zwischen jugendlicher Euphorie, fraulicher Reife und todtrauriger Enttäuschung. Dass sie gerade als Cio-Cio-San von Deutschlands Opernkritikern zur Sängerin des Jahres gekürt wurde, nimmt da nicht Wunder. Berechtigte Bravi!
Der Geschäftsführungsvorsitzende des SHMF-Sponsors Howaldtswerke Deutsche Werft GmbH, Ulrich Ziolkowski, hatte somit beim neuerlichen Schulterschluss von Schiffbau und Kultur nicht zu viel versprochen. Der „dankbare und stolze“ Landesvater Peter Harry Carstensen bekam einmal mehr Gelegenheit, Wirtschaftskultur, Kulturwirtschaft und den SHMF-Länderschwerpunkt Japan zu preisen. Eine symphatische Geste, dass er dabei auch dem geleisteten Diplomatie-Anteil seiner anwesenden Vorgängerin Heide Simonis Tribut zollte, die zuvor zehn Jahre lang die HDW-Veranstaltung eröffnet hatte und unter der erwähnten Prominenz mit Abstand den längsten und wärmsten Beifall erntete. Im erzwungenen Polit-Entzug tat er ihr bestimmt gut.
Text: Christian Strehk