Passionsspiele Oberammergau 2010
Quelle: Production Partner 11/2010
Dank der alle zehn Jahre ausgerichteten Passionsspiele (www.passionsspiele 2010.de) ist die oberbayerische Gemeinde Oberammergau weltbekannt: In einer mehr als fünf Stunden dauernden Aufführung werden seit Generationen die letzten fünf Tage im Leben Jesu durch Dorfbewohner (!) in einem Laienschauspiel nachgestellt. Erstmals wurde das Passionsspiel 1634 aufgeführt – im Jahr zuvor hatten die Einwohner von Oberammergau feierlich gelobt, regelmäßig ein derartiges Spiel abzuhalten, sofern sie von der Pest verschont bleiben würden. Im aktuellen Jahr fanden zwischen dem 15. Mai und dem 3. Oktober insgesamt 105 Aufführungen statt und bescherten dem kleinen Ort im Ammertal zum wiederholten Mal Millioneneinnahmen – weit über 500.000 zahlende Gäste konnten 2010 begrüßt werden.
Ursprünglich diente als Podium ein einfaches Holzgerüst, das im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts mit Kulissen und Bühnentechnik ausgestattet wurde. Ein Neubau der Freiluftbühne wurde für das Passionsjahr 1930 errichtet und findet bis heute Verwendung – die Zuschauerfläche wurde zwischenzeitlich allerdings überdacht, und unter den rund 4.700 Sitzplätzen befinden sich als Zugeständnis an die Komfortwünsche der internationalen Gäste eine Fußbodenheizung sowie Induktionsschleifen für Menschen mit Hörbehinderung.
1986 wurde Christian Stückl (bekannt u. a. als Intendant des Münchner Volkstheaters sowie als Regisseur der Fußballweltmeisterschaft-Eröffnung 2006 in München) zum jüngsten Spielleiter in der Geschichte der Spiele gewählt. Unter Leitung des gebürtigen Oberammergauers kam es anlässlich des Millenniums erstmals seit 70 Jahren zu einer umfassenden Neuinszenierung, und auch die Passionsspiele 2010 trugen unverkennbar Stückls Handschrift. Weitere wichtige Rollen spielten Bühnenbildner Stefan Hageneier sowie Markus Zwink als musikalischer Leiter. Im Gegensatz zu früheren Gepflogenheiten wurde im aktuellen Jahr der zweite Teil der Aufführung (Akte 5 bis 11) nach intensiven Diskussionen in der Dorfgemeinschaft auf den Abend verlegt und begann erst um 20 Uhr – die nächtliche Dunkelheit trug dabei nach Meinung erfahrener Festspielbesucher nicht unwesentlich zur atmosphärischen Dichte des zweiten Parts bei. Ein weiteres Novum war der Einsatz einer Beschallungsanlage, deren Verwendung in früheren Jahren als nicht notwendig erachtet wurde – auf den hinteren Plätzen behalf man sich in der Vergangenheit mit einem Textheft und Leselicht.
Herausfordernde Spielstätte
„In den letzten Jahren gab es zur Sommerzeit in Oberammergau immer wieder kleinere Aufführungen vom Sprechtheater bis hin zu klassischen Konzerten“, berichtete Rudolf Pirc, der im Auftrag von Neumann & Müller Veranstaltungstechnik (www.neumannmueller. com) das Beschallungskonzept federführend verantwortet hatte. „Von der Passion war seinerzeit noch nicht die Rede, und wir haben mit recht wenig Tonmaterial angefangen, um die Sprachverständlichkeit und den Sologesang bei den Aufführungen zu verbessern. Im Lauf der Zeit wurde das Konzept ständig weiterentwickelt.“ Mark Schauberger, Tontechniker aus Oberammergau und während der Passionsspiele unter anderem für die Mikrofonierung der Akteure verantwortlich, wies darauf hin, dass die Aufführung von Fremd- und Eigenproduktionen an acht bis zehn Tagen in den Sommermonaten mit dazu beiträgt, die laufenden Unterhaltskosten für die Spielstätte während der passionsfreien Jahre zu decken; die Initiative hierzu ging dem Vernehmen nach von Regisseur Christian Stückl aus.
Für die Passionsspiele 2010 konnte Rudolf Pirc auf in den letzten Jahren gesammelte Erfahrungen mit der eigenwilligen Akustik des Spielortes zurückgreifen: Besondere Herausforderungen sind das geschwungene Dach sowie die als Tragwerk verwendete Stahlkonstruktion, die schallharten Wände und der ebenfalls reflektierende, nach oben hin ansteigende Fußboden. Nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist die Auswirkung der Kulissen auf der Bühne: Für eine kaum kontrollierbare Fokussierung des Schalls sorgen unter anderem zwei mit Säulen ausgestattete bogenförmige Erker am rechten und linken Rand der Szenenfläche, an denen sich Klang und Lautstärke der Sprecher abhängig von ihrer Position auf den dort befindlichen Treppenstufen verändern – je nach Sitzplatz hört man im Publikum auch ohne elektroakustische Verstärkung selbst leise Stimmen perfekt, während auf anderen Sitzen zu gleicher Zeit fast gar nichts zu verstehen ist. Weitere Störfaktoren auf der nach hinten offenen Bühne sind Windgeräusche der dort gepflanzten Bäume sowie bei Regen das Auftreffen der Tropfen auf Kupferdach und Bühnenboden. Ein wenig Abhilfe zumindest im letztgenannten Punkt schafft ein verfahrbares Kunststoffdach, das bei schlechtem Wetter ausgefahren wird und den Aufprall der Regentropfen mit einer Gaze ausbremst. Allerdings ändert das ausgefahrene Dach durch Reflexionen die Akustik auf der Bühnenfläche, was sich speziell im Frequenzbereich um 2,5 kHz bemerkbar macht. Die rückseitige Bühne ganz zu schließen, wäre angesichts des dahinter liegenden Bergpanoramas ein Frevel; aus gleichem Grund erklärt sich auch, dass Kulissen in Oberammergau in den Boden und nicht unter die Decke verfahren werden.
Beschallung
Dass im aktuellen Jahr bei den Passionsspielen überhaupt eine Beschallungsanlage zum Einsatz kam, darf beinahe als kleines Wunder betrachtet werden, denn im Dorf waren die Meinungen über deren Notwendigkeit durchaus geteilt – schließlich war man die letzten 376 Jahre auch ohne „den neumodischen Kram“ ausgekommen. Letztlich konnte sich Christian Stückl jedoch auch in diesem Bereich durchsetzen, und Neumann&Müller erhielt den Zuschlag für die Ausstattung der Spiele.
Zentrales Element der Beschallung waren schlanke magnetostatische Linienstrahler aus der ZX-Linie von Sonus, die mit Gedanken an eine bestmögliche Ortung der Akteure über die gesamte Breite der Bühne verteilt waren. In das etwa elf Meter breite Bühnenportal waren rechts und links zwei jeweils vier Meter lange Linien eingearbeitet worden; eine mittig platzierte Lautsprecherzeile konnte aus diversen Gründen nicht installiert werden. Ergänzt wurden die beiden zentralen Zeilen durch zwei jeweils drei Meter hohe Lautsprechersäulen an den seitlichen Treppenaufgängen, die durch die Krümmung der Kulissenkonstruktion und die Beschränkung auf eine Länge von drei Metern leicht anders klangen als ihre Konterparts. Ganz außen am vorderen Rand des Podiums waren schließlich zwei jeweils zwei Meter lange Sonus-Schallzeilen angebracht, die lediglich einen Teilbereich des Publikums abdeckten. Als Besonderheit waren die leicht geneigt montierten Lautsprecher für die Zuschauer unsichtbar hinter speziellen, vom hoch engagierten Oberammergauer Passionsteam gefertigten und passend lackierten Lochgittern in die Bühnenkulisse integriert; hier waren anfänglich noch einige Ab stimmungsgespräche zwischen Tontechnik und Bühnenbild erforderlich. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass sich die Sonus-Lautsprecher vielfach hinter den Akteuren und somit vor den Mikrofonen befanden, was dem möglichen Pegel natürliche (Feedback-)Grenzen auferlegte. Letztere entpuppten sich zudem als wetterabhängig: „Bei Regen und kühlen Temperaturen ist es am schwierigsten“, ließ FOH-Mischer Michael Kennedy verlauten. Zu den Vorzügen der Anordnung gehörte, dass die Schallzeilen die Funktion von Monitoren mit übernahmen, sodass auf Wedges oder Ähnliches verzichtet werden konnte.
Ergänzt wurde die Sonus-Produkte durch drei an der Decke geflogene Line-Arrays: In der Mitte befand sich ein Array aus sieben Q1 von d&b audiotechnik, das an seinem oberen Ende zwei Q-SUB-Einheiten beinhaltete. Rechts und links davon wurden kurze „Bananen“ aus jeweils sechs Q1 geflogen. Die Line-Arrays deckten in erster Linie die weiter von der Bühne entfernten Plätze im hinteren Bereich der ansteigenden Zuschauerfläche ab und tönten insgesamt ein wenig fülliger als die tendenziell eher schlank wirkenden Zeilenlautsprecher; zum Einsatz kamen sie ab einer Entfernung von etwa 25 Meter vor der vorderen Bühnenkante. Durch eine geschickte Ausrichtung der d&b-Lautsprecher sowie der in die Bühne integrierten Schallzeilen konnte ein sinnloses „Beschießen“ der Rückwand vermieden werden, und die Ortung fokussierte sich an jedem Sitzplatz auf das Bühnengeschehen.
Der Nahbereich vor der Bühne wurde ergänzend zu den ZX-Schallzeilen mit neun verzögert angesteuerten CA 106 von Kling & Freitag versorgt, die der Tiefe der Bühne geschuldet waren: Die erste Wellenfront erreichte die Zuhörer dank passender Zeitverzögerung von hier, was eventuellen Verwirrungen und Ortungsirritationen durch eine Vermischung der Quellen mit den Signalen der Sonus-Lautsprecher vorbeugte.
Raumklang mit Vivace
Da die durch die Architektur vorgegebene Akustik im Zuschauerareal hohe Ansprüche nicht befriedigen kann, entschied man sich für den Einsatz einer künstlichen Raumakustik, die mithilfe eines Vivace-Systems erzeugt wurde. Entwickelt wurde Vivace vom renommierten Ingenieurbüro Müller-BBM; vertrieben wird das zur PL+S 2009 vorgestellte Digitalsystem über Salzbrenner Stagetec. Angeschlossen waren in Oberammergau insgesamt zwölf Wiedergabelautsprecher (d&b E8), von denen sich jeweils fünf auf die Seitenwände respektive die ihnen vorgelagerte Stahlkonstruktion verteilten, während die beiden verbleibenden Lautsprecher nahe der Rückwand nach oben in die Decke strahlten. Eine höhere Zahl von Lautsprechern hätte wie aus Festinstallationen in Theatern (Theater an der Wien, Abu Dhabi Classics im Emirates Palace) bekannt zu noch überzeugenderen Ergebnissen geführt, aber derlei Gedanken wurde durch das vorhandene Budget ein Riegel vorgeschoben.
Jenseits seiner originären Funktion als Raumsimulator wurde das Vivace-System in Oberammergau auch als digitale Matrix mit integrierten DSP-Funktionen (Delay, Pegel) genutzt; ein Laptop mit der zugehörigen Steuersoftware war am FOH-Platz zu sehen. Da der 19"-Mainframe mit 64 Eingängen und 64 Ausgängen (MADI-Karte, max. zwei Karten können eingebaut werden) bestückt war, wurden viele Mikrofone einzeln über die Direct-Outs des Mischpultes einem Eingang von Vivace zugewiesen, was umfangreiche Steuerungsmöglichkeiten eröffnete. Das Orchester sowie der Chor wurden dem Prozessor als Stereomix übermittelt; die Solisten wurden erwartungsgemäß als Monosignale übergeben. Die für die Sprache verwendeten Mikrofone wurden ebenfalls einzeln per Direct-Out an das System weitergereicht.
Von der gelungenen Raumsimulation profitierten in erster Linie das Orchester und der Chor – speziell das Orchester klang ohne künstlichen Faltungshall aus dem Graben heraus eher dumpf und topfig. Programmiert wurde das System durch Gunter Engel (Müller-BBM), und Michael Kennedy sowie Rudolf Pirc berichteten einhellig, dass aufgrund der guten Vorbereitung im Vorfeld vor Ort „nur nachgemessen statt eingemessen“ wurde und sich die Korrekturen im Rahmen hielten. Für Besucher der Passionsspiele sicher erfreulich war der Umstand, dass das Klangbild im Gegensatz zu früheren Jahren auch auf den hinteren Plätzen sehr ansprechend ausfiel; Abstriche am Klangvergnügen mussten lediglich auf besonders preisgünstigen Randplätzen gemacht werden.
FOH
Der FOH-Platz befand sich während der Aufführungen akustisch eher ungünstig auf einer Empore am seitlichen Rand der Zuschauerfläche. Eine Positionierung im Publikum verbot sich mit Blick auf die durchgängig ausverkauften Vorstellungen: Zwölf Eintrittskarten ¥ 105 Vorstellungen ¥ ca. 100 Euro sind ein Argument, dem man Rechnung tragen wollte. „Bei den allgemeinen Proben sowie fünf öffentlichen Proben mit verkauften Plätzen hatten wir den FOH-Platz noch mitten im Publikum“, berichtete Michael Kennedy. „Den klaren Eindruck von dort konnte ich nach oben auf die Empore mitnehmen – ich wusste, was im Zuschauerbereich passieren würde, wenn ich an einem bestimmten Regler drehe.“ Über die erforderliche Abstraktion (auch optisch: Das Geschehen am linken Bühnenrand war vom FOH-Platz nicht sichtbar!) hinaus erwies sich Kennedys Job in jeder Hinsicht als anspruchsvoll: Während der gesamten Aufführung war der Australier permanent aktiv, da sämtliche Kanäle händisch gefahren wurden – die Szenenautomation des verwendeten Yamaha PM5D bot aufgrund wechselnder Besetzungen und der Eigenheiten diverser Schauspieler keine wirkliche Hilfe und wurde vorrangig für den Wechsel zwischen Schauspiel und Musik bemüht. „Immerhin besteht so nur bedingt die Möglichkeit, in Routine zu verfallen“, erklärte Michael Kennedy mit einem Schmunzeln. „Durch die wechselnden Besetzungen kommt es immer wieder zu Neuerungen, und nicht jeder Schauspieler steht immer an dem Platz, der ihm eigentlich zugewiesen ist. Man muss während der Aufführung wirklich die ganze Zeit dranbleiben – es gibt wirklich keine Gefahr, dass man hier einschläft ...“
Bezüglich der Verkabelung setzte man in Oberammergau weitgehend auf eine analoge Signalübertragung via Kupfer, wobei Teile der bereits im Haus vorhandenen Signalstrecken genutzt wurden. Sämtliche analogen Audiosignale liefen auf XLRPatchfeldern auf, die sich unter der Bühne in einem mannshohen 19"-Schrank befanden. Im nebenan stehenden 19"-Rack befanden sich unter anderem Kommunikationstechnik von Riedel sowie zwei RME-Wandler, die aus dem Vivace-System mit einem MADI-Signal (redundant über LWL und Koax-Leitung) adressiert wurden. Ein Wandler (ADI-6432) gab AES/EBU-Signale aus, welche die D12-Verstärker von d&b audiotechnik speisten; der zweite Wandler (M-32 DA) lieferte analoge Audioinformationen, mit denen die Endstufen für die verbleibenden Lautsprecher (K&F CA 106 und d&b E8) versorgt wurden.
Zusammenfassend könnte man anmerken, dass sich die tontechnische Aufgabenstellung deutlich vereinfachen ließe, wenn die Aufführungsstätte mit geeigneten Akustikelementen versehen würde, wobei speziell den Seitenwänden Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte – eine Maßnahme, die in einem Zeitrahmen von zehn Jahren bis zu den nächsten Passionsspielen sicher zu bewerkstelligen ist.
Mikrofonierung
Man könnte mutmaßen, dass für die spezielle Aufgabe in Oberammergau der Einsatz von Taschensendern nebst eingeschminkten Mikrofonkapseln eine probate Lösung sei. Jenseits der dadurch entstehenden Kosten und des Aufwands (21 Hauptsprechrollen, 140 Sprechrollen insgesamt) war der Einsatz von Sendestrecken jedoch auch aus anderen Gründen unerwünscht: Der Regisseur bevorzugt dem Vernehmen nach ein möglichst natürliches Klangbild und möchte zudem nicht, dass sich seine Schauspieler bei ihrem Spiel auf die Technik verlassen. Zudem herrschte in Oberammergau wohl ein gewisses Generalmisstrauen gegenüber Technik, und man wollte nicht riskieren, dass beim Ausfall eines Senders ein wichtiger Akteur plötzlich überhaupt nicht mehr zu verstehen wäre. Ganz verzichtet wurde im Ammertal auf Anstecker allerdings nicht: Mit Taschensendern und kleinen Sennheiser-Kondensatorkapseln waren vier Chorsolisten (Sopran, Tenor, Alt, Bass), der Sprecher des Prologs, Pilatus, Maria, Maria Magdalena, ein Reiter sowie ein künstlicher Baum im hinteren Bereich der Bühne bestückt – der mobile Baum war insofern wichtig, als hier Judas Iskariot von Schuldgefühlen geplagt den Freitod durch Erhängen wählte. Für die Zuhörer entstand beim Übergang zwischen der normalen Mikrofonierung (siehe unten) und dem „Baummikro“ (Sennheiser MKE 2) der durchaus erwünschte Eindruck, dass sich der Protagonist aus einem geschlossenen Raum in einen offenen Hof begibt. Die Drahtlosstrecken entstammten durchweg der UHF-R-Serie von Shure. Anmerkung am Rande: Extra für die Aufführungen war ein beteiligtes Pferd mit Hufeisen aus Kunststoff beschlagen worden, um die durch seine Hufe bedingten zwei Sennheiser-Richtrohrmikrofone des Typs MKH 416 samt Schaumstoffüberzug zu entdecken, und Schallwandler dieses Typs kamen auch an sieben Positionen oberhalb des Orchestergrabens zum Zuge – eine Verteilung in gleichmäßigen Intervallen über das gesamte 40 Meter breite Proszenium war aus optischen Gründen nicht erwünscht. Von den Sennheiser-Nebengeräusche zumindest in einem einigermaßen erträglichen Rahmen zu halten. Weit weniger Störgeräusche erzeugten die in den Plot eingearbeiteten Ziegen und Kamele.
Eine ganze Reihe von Mikrofonen war im vorderen Bühnenbereich platziert worden: In den beiden Abgängen waren jeweils zwei Sennheiser-Richtrohrmikrofone des Typs MKH 416 samt Schaumstoffüberzug zu entdecken, und Schallwandler dieses Typs kamen auch an sieben Positionen oberhalb des Orchestergrabens zum Zuge – eine Verteilung in gleichmäßigen Intervallen über das gesamte 40 Meter breite Proszenium war aus optischen Gründen nicht erwünscht. Von den Sennheiser Richtrohren wurde der hintere Teil der Bühne abgedeckt, während die vorderen drei bis vier Meter mit Crown Stagefloor-Mics (PCC-160) erfasst wurden, die mit ihrer speziellen Bauform punkten konnten und zudem eine saubere Ortung begünstigten. Gegen möglichen Regen hatten die Techniker spezielle Gazekonstrukte entworfen, die einen gewissen Schutz gegen Nässe von oben boten. Die Mikrofonkonstellation deckte in Massenszenen bis zu 800 (!) Akteure ab, wobei sich Chor und „Volksauflauf“ in diesem Zusammenhang auch unverstärkt durchsetzen konnten. Ergänzend zu den bereits erwähnten Mics kamen Modelle mit Nierencharakteristik (AT4041) in den auf die Bühne führenden Gassen zum Einsatz. Erwähnenswert ist vielleicht, dass Pirc und Kennedy anfänglich mit zwei KEM 970 von Microtech Gefell experimentierten, denen sie durchweg positive Noten in puncto Homogenität und Rückkopplungssicherheit erteilten. Dass die „Bundestagsmikrofone“ letztlich nicht zum Einsatz kamen, hatte zum einen mit ihrer starken optischen Präsenz zu tun und zum anderen wohl auch ein wenig mit dem Preis – man wollte ein solches Mikrofon nicht unbedingt den unvermeidlichen Regenschauern aussetzen müssen. In Kombination mit Vivace ließ sich zudem mit den zahlreichen installierten Mikrofonen ein feineres Raster über die Spielfläche legen, was der Ortung im Zuschauerraum zugute kam.
Im Orchestergraben waren ausschließlich Mikrofone von Audio-Technica zu entdecken: Omnipräsent war das allseits beliebte AT4050, das unter anderem als A/B-Konstellation vor dem Orchester positioniert war. Bratschen und Celli wurden ebenfalls mit AT4050-Modellen in Achtercharakteristik abgenommen. Die Bässe waren mit AT4033 mikrofoniert, und Kleinmembranen (AT4041) wurden für Flöten, Oboen und Klarinetten verwendet. Das Blech benötigte keine dedizierten Schallwandler, sondern wurde über die Hauptmikrofone in ausreichender Stärke erfasst. Ein Mikro zeigte zudem vom Orchester weg in Richtung des Dirigenten – mit einem großen Blech wurde in der Nähe seines Plexiglaspultes an einer einzelnen Stelle der Aufführung Theaterdonner erzeugt.
Aufführung
Die Passionsspiele in Oberammergau sind speziell und entziehen sich gängigen Kategorien: Es wäre ein Leichtes, an dieser Stelle über kleinere Patzer des Orchesters zu lamentieren oder die ungewandte Darstellung einzelner Laienschauspieler nebst wenig ausgeprägter Sprechdisziplin zu monieren – beides würde dem besonderen Charakter der Passionsspiele jedoch nicht gerecht. Der kleine Ort an der Ammer „lebt“ seine Spiele, und wenn man von Amateuren spricht, sollte man die ursprüngliche Konnotation dieses Begriffs im Hinterkopf behalten: Liebhaberei, Leidenschaft und letztlich auch Passion, womit sich der Kreis zur Aufführung schließt. Jenseits aller im Dorf geführten Diskussionen über einzelne Aspekte der Spiele scheinen Letztere im Ammertal auch für einen starken Zusammenhalt zu sorgen, der die Generationen übergreift: Nach der Aufführung war die Stimmung in der Kantine mit rustikalem Ambiente unterhalb der Bühne bei den Darstellern an den langen Biertischen ganz hervorragend – Jung und Alt im munteren Dialog; ein Bild, das in urbanen Umfeldern mittlerweile Seltenheitswert besitzt. Das eigene Kaltgetränk mit einem freundlichen Lächeln von einem langhaarigen jungen Mann gereicht zu bekommen, der 20 Minuten zuvor auf der Bühne noch blutend am Kreuz hing, entbehrt darüber hinaus nicht eines gewissen Charmes ...
Die Aufführung selber gefiel trotz ihrer Länge in jeder Hinsicht, und das über Generationen fortgeführte Spielgeschehen befremdete das internationale Publikum nicht durch unerwartete inszenatorische Einfälle. Tradition verpflichtet, und in unserer schnelllebigen Zeit muteten die während der Aufführung vielfach eingesetzten, bunt und ikonenhaft wirkenden Tableaux vivants zunächst zwar wie ein Anachronismus an, boten vielen Anwesenden jedoch auch die Möglichkeit zu „altmodischen“ Geisteshaltungen wie Andacht und Kontemplation – ein großer LED-Screen mit den entsprechenden Bildern hätte ganz sicher keine vergleichbare Wirkung entfaltet.
Michael Kennedy unterstützte am FOHPlatz mit der ihm zur Verfügung stehenden Audiotechnik die Intention der Dramaturgie nach Kräften, was tontechnisch vorbelasteten Zuhörern beispielsweise in Szenen wie der Geißelung oder beim Zerschmettern von Tonkrügen auffiel. Auch beim Abendmahl ließ sich trotz der zahlreichen Jüngerstimmen, die Jesus ihre Loyalität versicherten, Judas Iskariot akustisch stets eindeutig identifizieren und in der allgemeinen Unruhe orten. Allen Wünschen nach einem naturbelassenen Klangbild zum Trotz war der Einsatz einzelner (!) Anstecker nach unserer Meinung eine gute Idee, um etwa die Prologe mit bestmöglicher Sprachverständlichkeit wiederzugeben – insgesamt erschien das durch die distanzierte Mikrofonierung sehr natürlich wirkende Klangbild den besonderen Umständen in Oberammergau jedoch perfekt angemessen. Der Mehrzahl der Besucher dürfte dabei überhaupt nicht aufgefallen sein, dass eine Beschallungsanlage zum Einsatz kam. Wer allerdings ein wenig nachdachte, musste sich eigentlich im Klaren darüber sein, dass dem natürlichen Klangerlebnis nachgeholfen wurde – die Präsenz, mit der einzelne Stimmen selbst auf den hinteren Plätzen zu vernehmen waren, wäre ohne Verstärkung nicht möglich gewesen, und Zwiegespräche wirkten auch in der Entfernung durchaus noch intim.
„Es gibt im Dorf niemanden mehr, der noch die Meinung vertritt, dass man sich die Beschallung doch eigentlich hätte sparen können“, resümierte Michael Kennedy zwei Tage vor dem Ende der Saison zufrieden.
Text und Fotos: Jörg Küster